12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche brachten auch für Beschäftigte mit All-in-Verträgen eine Reihe von Verschlechterungen. Rechtsexpertin Andrea Komar beantwortet im GPA-djp Interview worauf ArbeitnehmerInnen achten sollten.
KOMPETENZ: Was ist ein All-in-Vertrag?
Andrea Komar: Ein All-in-Vertrag legt fest, dass mit einem Pauschalgehalt konkrete Ansprüche, häufig sind das geleistete Mehr- und Überstunden, abgegolten sind. Seit 29. Dezember 2015 muss in neu abgeschlossenen Dienstverträgen und Dienstzetteln die Höhe des monatlich zustehenden Grundgehaltes für die Normalarbeitszeit betragsmäßig ausgewiesen werden. Das gilt selbstverständlich auch für All-in-Verträge. Dieses Grundgehalt ist entweder das Kollektivvertrags-Mindestgehalt oder ein branchen- bzw. unternehmensüblich höheres. Der Rest ist Überzahlung und dient der Abgeltung geleisteter Mehr- und Überstunden.
KOMPETENZ: Was sind Mehr- und Überstunden?
Andrea Komar: Über die Normalarbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunden. Das Arbeitszeitgesetz geht von einer Normalarbeitszeit von 8 Stunden pro Tag bzw. 40 Stunden pro Woche aus. Viele Kollektivverträge sehen jedoch eine verkürzte Normalarbeitszeit vor, zum Beispiel eine 38,5-Stunden-Woche. In diesem Fall wäre die über 38,5 Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit bis zu 40 Wochenstunden Mehrarbeit, danach Überstundenarbeit. Auch bei Teilzeitkräften ist bei einer Arbeitsleistung bis zu 8 Stunden pro Tag bzw. 40 Stunden pro Woche von Mehrarbeit auszugehen. Erst danach von Überstunden. Unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, etwa Gleitzeitvereinbarungen weichen von dieser Grundaussage ab und sind gesondert zu prüfen.
KOMPETENZ: Was hat die Arbeitszeitrechtsnovelle 2018 bewirkt?
Andrea Komar: Seit 1. September 2018 darf bis zu 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Im Durchschnitt von 17 Wochen darf allerdings nicht länger gearbeitet werden als 48 Stunden pro Woche. ArbeitnehmerInnen können Überstunden ab der 11. Tagesstunde und der 51. Wochenstunde ohne Angabe von Gründen ablehnen. Daraus darf ihnen kein Nachteil erwachsen.
Leisten sie Überstunden über die 10. Tagesstunde und die 50. Wochenstunde hinaus, können sie wählen, ob diese Überstunden finanziell oder durch Zeitausgleich abgegolten werden sollen. Dieses Wahlrecht ist pro Einzelfall und Abrechnungszeitraum auszuüben, nicht vorab pauschal. Das Wahlrecht muss bis zum Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraums – in der Regel ist das ein Monat – ausgeübt werden.
In der Praxis erleben wir leider, dass viele ArbeitnehmerInnen unter Druck stehen und – zB aus Angst um ihren Arbeitsplatz – nicht wagen, Überstunden abzulehnen. Die Öffnung auf 12 bzw. 60 Stunden Höchstarbeitszeit hat die Arbeitssituation für diese ArbeitnehmerInnen massiv verschlechtert.
KOMPETENZ: Was bedeutet das für All-in-Verträge?
Andrea Komar: Seit 1.September 2018 ist es möglich zu regeln, dass das All-in-Gehalt bis zu 12 Tagesstunden und 60 Wochenstunden abdeckt. Hier stellt sich ab der 11. Tagesstunde bzw. der 51. Wochenstunde allerdings die Frage, wie mit dem Wahlrecht der ArbeitnehmerInnen bezüglich Abgeltung umzugehen ist. Dieses Wahlrecht besteht jedenfalls auch für All-in-BezieherInnen. Es kann nicht pauschal vorab ausgeübt werden, sondern nur jeweils am Ende des Abrechnungszeitraums. Das passt nicht in das Format All-in mit seinem in der Regel einjährigen Beobachtungszeitraum. Zu empfehlen ist die Ausdehnung einer All-in-Vereinbarung auf 12 bzw. 60 Stunden schon aus diesem Grund nicht.
All-in-Vereinbarungen, die vor dem 1. September 2018 geschlossen wurden, decken im Regelfall nur bis zu 10 Tages- und 50-Wochenstunden ab. Verträge werden nach dem Willen der Parteien ausgelegt und dieser Wille war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wohl auf die damals zulässigen Höchstarbeitszeitgrenzen gerichtet. Wird also über 10 bzw. 50 Stunden hinaus gearbeitet, sind diese Stunden gesondert abzugelten, und zwar nach Wahl der All-in-BezieherInnen entweder in Geld oder Freizeit. Das gilt wohl auch, wenn vereinbart wurde, dass das All-in-Gehalt „alle gesetzlich zulässigen Überstunden“ abdeckt. Denn auch hier ist, was den Willen der Parteien betrifft, auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und die damals zulässigen Höchstarbeitszeitgrenzen zu schauen.
Viele ArbeitgeberInnen sehen das leider anders und verlangen von den All-in-BezieherInnen trotzdem bis zu 12 Stunden tägliche bzw. 60 Stunden wöchentliche Arbeitszeit, ohne das All-in-Gehalt entsprechend anzuheben. Dadurch sind auch All-in-BezieherInnen durch die Novelle unter zusätzlichen Druck geraten.
KOMPETENZ: Müssen alle pauschal abgegoltenen Überstunden geleistet werden?
Andrea Komar: Nein. Wer einen All-in-Vertrag hat, bekundet damit zwar seine grundsätzliche Bereitschaft, Überstunden zu leisten, trotzdem können eigene berücksichtigungswürdige Interessen der Leistung einzelner Überstunden entgegenstehen. Überstunden ab der 11. Tagesstunde und der 51. Wochenstunde können auch im Rahmen eines All-in-Vertrages ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden. In der Praxis gilt auch hier, dass viele All-in-BezieherInnen es nicht wagen, einzelne Überstundenleistungen abzulehnen. Zum einen wissen viele nicht ausreichend über ihre Rechte Bescheid, zum anderen verwenden ArbeitgeberInnen „All-in“ oft als Rechtfertigung für alles: „Du arbeitest auf All-in-Basis, also musst du auch Überstunden leisten.“ Dagegen wagen viele ArbeitnehmerInnen nicht aufzubegehren oder sie vertrauen auf die Richtigkeit dieser Aussage. Man kann das Thema All-in daher gar nicht oft genug aufgreifen und über Vor- und Nachteile aufklären.
KOMPETENZ: Was passiert, wenn mehr Überstunden geleistet werden, als pauschal abgegolten sind?
Andrea Komar: Die ArbeitgeberInnen müssen bei einer Überstundenpauschale oder einer All-in-Vereinbarung in der Regel jährlich eine sogenannte Deckungsprüfung durchführen. Das ist eine Vergleichsrechnung über einen 12-monatigen Beobachtungszeitraum. Wurden mehr als die abgegoltenen Überstunden geleistet, ist die Entgeltdifferenz selbstverständlich nachzuzahlen. Auch das ist leider nicht allen All-in-BezieherInnen bewusst. Wurden weniger Überstunden geleistet als abgegolten sind, besteht kein Handlungsbedarf. Das Pauschalentgelt steht den ArbeitnehmerInnen jedenfalls zu.
KOMPETENZ: Können Differenzansprüche verfallen?
Andrea Komar: Ja. Nur falls die jährliche Deckungsprüfung nicht gemacht wurde und auch Zeitaufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden fehlen, werden die Verfallsfristen gehemmt. Im Regelfall beginnen die Verjährungsfristen – oder allenfalls vereinbarte kürzere Verfallsfristen – mit Ende des 12-monatigen Beobachtungszeitraums zu laufen.
von Lucia Bauer - KOMPETENZ Mitgliederzeitschrift der GPA-djp
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